Kein
Reisebüro, kein Hotel, kein Plan, kein Urlaub. Es sollte kein Urlaub werden, es
sollte eine Reise
werden - meine ganz persönliche Reise. Im Juni 2009 machte ich mich auf den Weg
nach Norden
mit meinem Fahrrad, einem Zelt und einer Straßenkarte von Norwegen.
Fahrradfahren zählte
zwar bis dahin nicht gerade zu meinen Hobbies und ich hatte seit Jahren keine
längere Radtour
als zum Bäcker um die Ecke gemacht, dafür aber hatte ich bis zu zwei Monaten
Zeit. Ich wollte
mich treiben lassen, und mal sehen wie weit ich mit dem Rad kommen würde...und
hoffte dabei
insgeheim das Nordkap zu erreichen.
So lang
ich denken kann, gehe oder fahre ich diese Straßen entlang. Zur Schule, zum
Job, zum Sport, zum Einkaufen. Als ich an diesem sonnigen Morgen im Juni 2009
durch meine Heimatgemeinde radele und die Menschen auf ihren alltäglichen Wegen
beobachte, komme ich mir, mit all dem Gepäck auf meinem Sattel, vor, als wäre
ich in einer fremden Stadt. Mein Ziel ist der Bahnhof, wo ich in einen Zug
steigen würde, der mich zunächst einmal nach Dänemark brächte. Es wäre jetzt so
einfach umzukehren, mal wieder Brötchen zu holen, in Ruhe zu frühstücken und so
zu tun, als wäre nichts gewesen. Doch ich steige mit dem Fahrrad und dem ganzen
Kram auf dem Gepäckträger in die Bahn und begreife erst danach, dass es jetzt
wirklich losgehen sollte.
Erster Zwischenstopp - erste Ungewissheit
Der Zug
bringt mich nach Frederikshavn. Eine Nacht würde ich dann in der dänischen Küstenstadt schlafen, um am nächsten Morgen die frühe Fähre nach Oslo nehmen zu können. Die Anreise
mit der Bahn funktioniert zu meiner Überraschung recht gut. Ich habe noch keine Ahnung, ob
ich mein Fahrrad auf dem Anschlusszug von der dänischen Grenze bis Frederikshavn
überhaupt transportieren darf und befürchte
schon, erst Dänemark durchradeln zu müssen, um nach Norwegen zu kommen. Das mehrmalige
Umsteigen mit dem voll beladenen Fahrrad ist zwar recht stressig, aber jedes
Mal klappt es
reibungslos. Am Abend meines ersten Tages schlag ich neben dem Yachthafen in
Frederikshavn zum
ersten Mal das Zelt auf, das für die nächsten zwei Monate mein Zuhause sein
wird. Obwohl
ich bisher kaum im Sattel saß, sind sind die beiden Tage der Anfahrt nach
Norwegen wahnsinnig anstrengend. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich eben
noch nicht selber fahren darf, sondern ausschließlich gefahren werde. Die
Ungewissheit, ob der geplante Fahrradtransport funktioniert, die Sorge, dass
man etwas Wichtiges vergessen habe oder etwas am Rad kaputt gehen könnte, die
emotionale Schere, zwischen Abenteuerlust und Abschiedsschmerz und die viele
Zeit, in der ich über all das nachdenken kann, bereiteten mir Appetit- und
Schlaflosigkeit.
Nichts außer Wald und Berge?
Die ersten Kilometer
Die
Sonne hat es noch nicht über die Berge geschafft und mit 8 Grad ist es
hundekalt. Da stehe ich nun, ganz alleine in einem Städtchen, deren Bewohner
noch im Tiefschlaf liegen. Mein erster Gedanke nach dem Ausladen des Fahrrads
ist: "Frühstücken!". Ich suche mir ein Plätzchen direkt am Wasser und
koche auf meinem kleinen Gaskocher Kaffee. Und als die Sonne langsam den Dunst
auf dem Romsdalsfjorden vertreibt, wird aus dem sterilem Weiß warmes
Tageslicht. Mein erster Kontakt mit der norwegischen Fjordlandschaft haut mich
regelrecht um. Das tiefe Blau des Meerwassers, die schroffen Felswände und die weißen
Bergkuppen werden perfekt von der aufgehenden Sonne in Szene gesetzt. Hier und
da plätschert ein "Wasserfällchen". Norwegen empfing mich von seiner
schönsten Seite.
Die ersten Kilometer auf dem Rad sind herrlich. Ich fahre völlig alleine um den Fjord herum, nur alle paar Kilometer überholt mich mal ein Auto. Meine erste Etappe, die bis nach Molde, der Hauptstadt der Provinz Møre und Romsdal, führen soll, ist allerdings die reinste Wechseldusche. Steigt die Straße an, knallt mir die Sonne auf den Pelz und der Schweiß tröpfelt auf den Asphalt. Fahr ich in den Schatten, geht es mit sicherer Regelmäßigkeit wieder bergab und ich halte mich zitternd am Lenker fest. Hin und wieder muss ich Fjorde mit kleinen Fähren überqueren. Das bringt willkommenene Pausen, in denen man Durchatmen und sich Aufwärmen kann. Die Landschaft wirkt hier sehr viel offener und freundlicher als im Landesinneren. Hinter jeder Kurve wartet das Meer - ein Anblick, den ich als sehr viel angenehmer empfinde, als die unendliche Waldlandschaft, durch die mich der Bus chauffierte.
Die Gefahr unterschätzt
Meine Reise fühlt sich plötzlich sehr richtig an. Das Gefühl der Zufriedenheit gibt mir bei jeder neuen Steigung wieder Anschub und lässt mich meine Beine vergessen, die nach 30 Kilometern bereits schmerzten und jetzt nach 40 Kilometern scheinbar schon im Muskelkater-Modus sind. Mein Eierkuchenfriede mit der Welt endet aber abrupt, als ich in ein dunkles Loch in dem Berg vor mir blicke: Ein Tunnel. Eigentlich nichts Neues, schließlich hatte ich schon früher an diesem Tag mehrere Tunnel problemlos durchfahren. Doch dieser ist anders. Schilder deuten an, dass dieses Exemplar 2,7 km lang sei und das Fußgänger und - weitaus ärgerlicher - auch Fahrräder darin nichts zu suchen hätten. Regeln sind wichtig, Regeln sind gut. Und diese hier hätte ich auch liebend gerne eingehalten. Allein die Alternative fehlte mir. Hatte ich vor einigen Kilometern eine Abzweigung übersehen? Nein, so weit ich mich erinnern kann, gab es eigentlich nur den einen Weg, auf dem ich hergekommen bin. Meine Beine senden mir unzweideutige Signale: An eine Rückfahrt, um einen Umweg zu suchen, der vielleicht gar nicht existiert, ist nicht zu denken. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Verkehr hier kurz vor Molde beachtlich zugenommen hat. "Außerdem ist es ja auch nur ein weiterer Tunnel. Kennste einen, kennste alle!", denke ich. Also setze ich die Sonnenbrille ab, schalte die Fahrradbeleuchtung an und fahre hinein.
Zuerst
geht es steil bergab. Das finde ich soweit in Ordnung. Nach über einem
Kilometer rasender Abfahrt reift in mir allerdings die Erkenntnis, dass der zweite
Teil vermutlich ebenso steil nach oben gehen würde. Wenig später wird diese
Ahnung zur Gewissheit. "Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel" geht
mir durch den Kopf, wohlweislich, dass dieser physikalische Satz mit der Art
und Weise dieser Tunnelführung sicherlich nichts zu tun haben dürfte. Es hat
keinen Sinn, sich zu wehren. Ich springe aus dem Sattel und fange an, meinen 30
kg schweren Untersatz zu schieben, das Tageslicht am Ende der Röhre jetzt fest
im Blick. Die Autofahrer, die das Hindernis am Straßenrand umfahren müssen, tun
dies nicht, ohne ausdrücklich kundzutun, dass sie meine eigenwillige Aktion
missbilligen. Die Autos und LKW's rasen, obwohl eigentlich genug Platz
vorhanden ist, dicht an mir vorbei und drücken dabei wie wild auf die Hupe. Ein
Wagen tritt auf die Bremse, kuppelt aus und lässt den Motor direkt vor mir
aufheulen. Ich will nur noch raus und gehe in den Laufschritt über. Abgase
steigen mir in die Nase und der Schweiß, der mir zunächst nur kalt den Rücken runter
läuft, perlt mir jetzt in die Augen. Die Hälfte des Anstiegs habe ich bereits
geschafft, da fangen meine zuvor schon müden Waden an zu zwicken. Dann ist es
endlich geschafft. Raus aus dem Tunnel und ab auf den nächsten begehbaren
Randstreifen. Ich bin sauer: auf die norwegische Straßenführung, auf die wenig rücksichtsvollen
Autofahrer und auf meine eigene Dummheit. Ich lege mich hin, versuche die
Krämpfe in meinen Waden loszuwerden und genieße den frischen Sauerstoff. Ein
Straßenschild spendet mir Schatten. Darauf steht: "Willkommen in
Molde". Ich beende einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche und seufze:
"Danke!"

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