Montag, 11. März 2013

In Steinkjer am Scheideweg


 
"Und Du fährst so ganz alleine?" Lerne ich hier Menschen kennen, ist das spätestens der dritte Satz in einem Gespräch. Radreisende, die auf Begleitung verzichten, sind hier an der Westküste Norwegens nun wirklich keine Seltenheit. Dennoch scheint mein Solo-Ausritt für Verwunderung zu sorgen. "Nun, meine Freunde hatten keine Zeit oder keine Lust und es war schon immer mein Traum...jetzt oder nie...", so oder so ähnlich klingt die Antwort, die ich mir zurecht lege. So richtig stimmt es ja nicht. Irgendwie ist es ja schon so, wie es auf den ersten Blick scheint. Es ist, so abgedroschen es klingen mag, tatsächlich ein Versuch, mich selber besser kennenzulernen, je weiter ich mich örtlich entferne, näher zu mir zu kommen, ja meinetwegen ist es halt ein "Selbstfindungstrip". Ich hasse den Begriff. Er klingt irgendwie esoterisch angehaucht. Die erste Woche auf dem Rad in Norwegen ist jedenfalls keine Selbstfindung, sondern höchstens eine "Selbstzurechtfindung". Tatsächlich drehen sich meine Gedanken vor allem um die essentiellen Themen: Kilometer, Essen, Trinken und Schlafen. Eine weitere Sorge löst sich, angesichts der einladenden öffentlichen Toiletten, sehr bald in Wohlgefallen auf. Wie sagte mal ein berühmter Dichter: "Den Grad der Kultur einer Nation erkennt man an dem Zustand ihrer Toiletten" - oder so ähnlich. Norwegen jedenfalls ist unübersehbar eine Hochkultur.


Die Etappen der ersten Woche sind schon ziemlich anstrengend. Und das, obwohl ich mit ca. 50-60 Kilometern pro Tag noch weit unter dem liege, was ich mir erhofft hatte. Wenn ich mich nicht bald steigere, werde ich es schon aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht bis zum Nordkap schaffen. Nach  der täglichen Fahrerei kann ich gerade noch mein Zelt aufbauen und mir etwas zu Essen kochen, dann fallen mir auch schon die Augen zu. Eigentlich will ich noch etwas Lesen und vielleicht ein paar Zeilen schreiben. Keine Chance! Auf dem Rad denke ich viel über Essen nach. Ich habe eigentlich immer Hunger, obwohl ich morgens ordentlich Müsli und Brote und abends so viel Nudeln esse wie ich schaffe und es mir auch sonst an nichts mangelt. Natürlich versucht man mit möglichst leichten Taschen zu fahren, so dass man nur das Nötigste an Nahrung und Getränken mit sich führt. Ich suche also jeden Tag aufs Neue einen Supermarkt auf und muss mich daher auch jeden Tag aufs Neue über die Preise ärgern. Die Supermarkt-Landschaft hier ist eine andere als in Deutschland. Es gibt im Wesentlichen zwei verschiedene Ladenketten - die eine ist teuer, die andere ist noch teurer. Lebensmittel wollen hier wohl ausgewählt werden, möchte man zwei Monate mit einem kleinen Budget auskommen.

Die Atlantikstraße

Des schnöden Mammons wegen, hatte ich mir auch vorgenommen, so oft es möglich ist, wild zu zelten. Dies ist in Norwegen dank des "Jedermannsrecht" unter bestimmten Voraussetzungen gestattet. Auf der Straße E64 nach Kristiansund habe ich bei der Suche nach einem Schlafplatz zwar das Recht auf meiner Seite, doch die Landschaft gegen mich. Ich habe mir seit der anstrengenden Anreise per Bahn und Schiff noch keine längere Pause gegönnt und auch heute war es mal wieder ein langer Tag im Sattel. Ich muss erst noch herausfinden, was ich auf dem Rad leisten kann und stelle fest, dass ich heute wohl zu weit gegangen bin. Mein Weg führte mich über die Atlantikstraße, die von den Norwegern zum "Bauwerk des Jahrhunderts" gewählt wurde. Die Straße ist eigentlich eine einzige Aneinanderreihung von mehreren spektakulären Brücken. Sie windet sich wie ein verdrehtes Kabel von einer Insel zu nächsten. Ich fühle mich, wie auf einer Carrera-Bahn - nur das es keine Stromschienen gibt, die mich antreiben. So schön es ist, auf dieser Straße über das Meer zu gleiten, es ist auch eine Kraftleistung. Jede neue Brücke bedeutet auch einen neuen steilen Anstieg. Der Wind hier draußen macht es nicht einfacher. Mal schiebt er mich zur Seite, mal drückt er von vorne. Als es Abend wird, bemerke ich, dass diese felsige Küstenlandschaft nicht gerade geeignet ist, um sein Zelt darauf zu setzen. Doch sehr weit komm ich heute nicht mehr. Meine Beine sind bloß noch leere Hülsen. Ich bin mir längst nicht mehr sicher, ob meine Beine die Pedale antreiben oder ob die Pedale sie antreiben.

Der Camping-Garten auf Averøy

Auf der Insel Averøy frage ich einen Mann, den ich zufällig an der Zufahrt zu seinem Haus treffe, ob er vielleicht einen guten Ort wüsste, an dem ich über Nacht mein Zelt stehen lassen könnte. Er schaut die Straße herunter als gäbe es da irgendetwas zu sehen und sagt, dass ich schätzungsweise in 10 oder 15 Kilometern an einen Camping-Platz käme. Die Antwort habe ich nicht gerade erhofft und scheinbar kann man die Enttäuschung an meinem erschöpften Gesicht ablesen. "Wenn du willst, kannst du dein Zelt auch da auf den Rasen setzen", schiebt derNorweger hinterher und deutet auf das Gebüsch vor seinem Haus. Zwar kann ich beim besten Willen von meiner Stelle aus kein Stück Rasen erkennen, doch ist mir das mittlerweile auch egal. Ich bin müde und würde meinetwegen auch auf einem Rhododendron schlafen. Doch der Mann kannte sein Grundstück besser. Geschützt von allerlei Gestrüpp und unter einem Balkon kann ich mein Zelt problemlos aufbauen. Mit so einer Gastfreundlichkeit hatte ich nicht gerechnet. Doch sollte ich noch mehr als ein Mal erfahren, dass die oft als kalt geltenden Nordmenschen in Wirklichkeit eine besondere, weil unaufdringliche Herzlichkeit besitzen. Ich bedanke mich überschwänglich. Nachdem ich erklären musste, dass meine Freunde keine Zeit oder keine Lust hatten, mich zu begleiten, schlafe ich, noch lange bevor die Sonne ihre kurze Pause einlegt, zufrieden ein.

 

Am Scheideweg

Am Ende der ersten Woche erreiche ich Steinkjer. Es ist für mich eine wichtige Wegmarke. Die Stadt ist mit ihren rund 20.000 Einwohnern vorerst die letzte größere Stadt auf dem Weg nach Norden. Ich bin hier. Das bedeutet ich komme mit meinen kleinen Etappen tatsächlich immer weiter voran und ich kann es sogar bis zum Nordkap schaffen, wenn ich will. Es heißt auch, dass ich mich nun entscheiden muss, wie ich von hier aus weiter fahre. Hinter Steinkjer gibt es im Wesentlichen nur noch zwei Straßen, die weiter nach Norden führen. Nehme ich die landschaftlich reizvolle aber längere Küstenstraße 17, den sogenannten Kystriksveien, oder die E 6, die mich wohl auf kürzerem Weg zum Nordkap führen würde? Eine Begegnung sollte mir zu meinem großen Glück diese Entscheidung abnehmen. In den Städten ziehe ich es vor, auf Camping-Plätzen zu schlafen, jetzt am Ende der ersten Woche umso mehr, da ich wirklich einen Ruhetag gebrauchen kann. Ich esse an einem richtigen Tisch und genieße eine lange warme Dusche. Als ich zu meinem Zelt zurückkehre, sehe ich, dass ein weiterer Radreisender angekommen ist. Als erstes bemerke ich den Aufkleber auf den Satteltaschen seines Rennrades. "Danish Dynamite" steht darauf. Der Fremde hat gerade begonnen sein Zelt auszupacken. Keine fünf Minuten später steht das Teil fertig da und der Kollege hat bereits seinen Gaskocher angeschmissen. Ich kann nur staunen. Olaf, wie der Fahrradfahrer heißt, ist überhaupt eine echte Erscheinung. Den Aufkleber hat er jedenfalls verdient, denn, wie sich herausstellt, ist er nicht nur Däne, sondern vor allem auch Dynamit. Er ist sehnig wie ein Marathon-Läufer, breitschultrig und braun gebrannt wie ein polnischer Erntehelfer, dabei hat er die 40 offensichtlich schon lange überschritten. Seine Waden sind dick wie Brückenpfeiler. Kaum ein Quadratzentimeter Lederhaut auf seinen Beinen, der nicht mindestens zwei oder drei Mückenstiche aufweisen würde. Keine Frage, ich habe eine radreisende Frontsau vor mir. Ich muss meinen Mut sammeln, um zu fragen, wo er herkommt. Mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme sagt er, er sei vor acht Tagen vom Nordkap gestartet und jeden Tag, trotz Schnee und Regen in Lappland, fast 200 Kilometer auf der E6 runtergestrampelt. Und ich glaube ihm. In dem Moment weiß ich, welchen Weg ich einschlagen würde. Meine Reise sollte eigentlich genau das Gegenteil werden, von dem, was mein Gegenüber macht. Jedenfalls will ich ganz sicher kein Rennen gegen die Zeit, nur um das Kap zu erreichen. Klar will ich es immer noch da hoch schaffen, aber nicht auf Kosten des Weges. Dank Olaf wusste ich nun wie es weitergehen sollte. So unterschiedlich unsere Vorstellungen einer Radwanderung waren, herrschte doch ein stillschweigendes Verständnis für den anderen. Jedenfalls fragte er nicht, warum ich so ganz alleine reise und ich ihn auch nicht.


Sonntag, 10. März 2013

Ankunft in Norwegen



Kein Reisebüro, kein Hotel, kein Plan, kein Urlaub. Es sollte kein Urlaub werden, es sollte eine Reise  werden - meine ganz persönliche Reise. Im Juni 2009 machte ich mich auf den Weg nach Norden mit meinem Fahrrad, einem Zelt und einer Straßenkarte von Norwegen. Fahrradfahren zählte zwar bis dahin nicht gerade zu meinen Hobbies und ich hatte seit Jahren keine längere Radtour als zum Bäcker um die Ecke gemacht, dafür aber hatte ich bis zu zwei Monaten Zeit. Ich wollte mich treiben lassen, und mal sehen wie weit ich mit dem Rad kommen würde...und hoffte dabei insgeheim das Nordkap zu erreichen.


So lang ich denken kann, gehe oder fahre ich diese Straßen entlang. Zur Schule, zum Job, zum Sport, zum Einkaufen. Als ich an diesem sonnigen Morgen im Juni 2009 durch meine Heimatgemeinde radele und die Menschen auf ihren alltäglichen Wegen beobachte, komme ich mir, mit all dem Gepäck auf meinem Sattel, vor, als wäre ich in einer fremden Stadt. Mein Ziel ist der Bahnhof, wo ich in einen Zug steigen würde, der mich zunächst einmal nach Dänemark brächte. Es wäre jetzt so einfach umzukehren, mal wieder Brötchen zu holen, in Ruhe zu frühstücken und so zu tun, als wäre nichts gewesen. Doch ich steige mit dem Fahrrad und dem ganzen Kram auf dem Gepäckträger in die Bahn und begreife erst danach, dass es jetzt wirklich losgehen sollte.

Erster Zwischenstopp - erste Ungewissheit

Der Zug bringt mich nach Frederikshavn. Eine Nacht würde ich dann in der dänischen Küstenstadt schlafen, um am nächsten Morgen die frühe Fähre nach Oslo nehmen zu können. Die Anreise mit der Bahn funktioniert zu meiner Überraschung recht gut. Ich habe noch keine Ahnung, ob ich mein Fahrrad auf dem Anschlusszug von der dänischen Grenze bis Frederikshavn überhaupt transportieren darf und befürchte schon, erst Dänemark durchradeln zu müssen, um nach Norwegen zu kommen. Das mehrmalige Umsteigen mit dem voll beladenen Fahrrad ist zwar recht stressig, aber jedes Mal klappt es reibungslos. Am Abend meines ersten Tages schlag ich neben dem Yachthafen in Frederikshavn zum ersten Mal das Zelt auf, das für die nächsten zwei Monate mein Zuhause sein wird. Obwohl ich bisher kaum im Sattel saß, sind sind die beiden Tage der Anfahrt nach Norwegen wahnsinnig anstrengend. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich eben noch nicht selber fahren darf, sondern ausschließlich gefahren werde. Die Ungewissheit, ob der geplante Fahrradtransport funktioniert, die Sorge, dass man etwas Wichtiges vergessen habe oder etwas am Rad kaputt gehen könnte, die emotionale Schere, zwischen Abenteuerlust und Abschiedsschmerz und die viele Zeit, in der ich über all das nachdenken kann, bereiteten mir Appetit- und Schlaflosigkeit.

Nichts außer Wald und Berge?

Den Tag auf der Fähre nach Oslo verbringe ich in der Sonne auf dem Oberdeck. Ich muss mich zwischenzeitlich daran erinnern, mal etwas zu trinken und zu essen, um es nicht zu vergessen. In Oslo angekommen, irre ich zunächst etwas orientierungslos durch die Stadt, finde aber schließlich den Busbahnhof. Mit dem Wissen, das es jetzt nur noch ein paar Stunden dauern wird, bis ich endlich selber losfahren kann, ist diese Busfahrt durch die langsam einsetzende Dunkelheit ein echtes Erlebnis. Ich kann einen ersten Blick auf die Landschaft Südnorwegens werfen. Die Dämmerung, die bis spät in die Nacht anhält, tauchte Wälder und Seen in ein sanftes rosa-lila Licht. Immer wieder starre ich durch die Frontscheibe des Busses, die schier endlose Straße entlang, um hinter dem nächsten Hügel einen Blick auf die untergehende Sonne zu erhaschen und immer wieder sieht man nichts außer diesen seltsam eingefärbten Wald. "Hier sollst du Radfahren? Hier gibt es nichts außer Wald und Berge!", denke ich die ganze Zeit. Hinter meiner ganzen Idee erscheint plötzlich ein dickes Fragezeichen. An Schlaf ist nicht zu denken. Plötzlich hält der Bus. Die Pastelltöne sind weg, stattdessen ist überall weißer Dunst. Ich war eingenickt, habe vielleicht ein oder zwei Stunden gedöst. Mittlerweile ist es 5:40 Uhr. Ich muss raus aus dem warmen Bus, als Einziger. Die anderen Fahrgäste blicken mich mürrisch an, so als hätte ich gewollt, dass die einschläfernde Monotonie des brummenden Busses abbricht und sie dadurch aufgeweckt werden.

Die ersten Kilometer

Die Sonne hat es noch nicht über die Berge geschafft und mit 8 Grad ist es hundekalt. Da stehe ich nun, ganz alleine in einem Städtchen, deren Bewohner noch im Tiefschlaf liegen. Mein erster Gedanke nach dem Ausladen des Fahrrads ist: "Frühstücken!". Ich suche mir ein Plätzchen direkt am Wasser und koche auf meinem kleinen Gaskocher Kaffee. Und als die Sonne langsam den Dunst auf dem Romsdalsfjorden vertreibt, wird aus dem sterilem Weiß warmes Tageslicht. Mein erster Kontakt mit der norwegischen Fjordlandschaft haut mich regelrecht um. Das tiefe Blau des Meerwassers, die schroffen Felswände und die weißen Bergkuppen werden perfekt von der aufgehenden Sonne in Szene gesetzt. Hier und da plätschert ein "Wasserfällchen". Norwegen empfing mich von seiner schönsten Seite.

 
Die ersten Kilometer auf dem Rad sind herrlich. Ich fahre völlig alleine um den Fjord herum, nur alle paar Kilometer überholt mich mal ein Auto. Meine erste Etappe, die bis nach Molde, der Hauptstadt der Provinz Møre und Romsdal, führen soll, ist allerdings die reinste Wechseldusche. Steigt die Straße an, knallt mir die Sonne auf den Pelz und der Schweiß tröpfelt auf den Asphalt. Fahr ich in den Schatten, geht es mit sicherer Regelmäßigkeit wieder bergab und ich halte mich zitternd am Lenker fest. Hin und wieder muss ich Fjorde mit kleinen Fähren überqueren. Das bringt willkommenene Pausen, in denen man Durchatmen und sich Aufwärmen kann. Die Landschaft wirkt hier sehr viel offener und freundlicher als im Landesinneren. Hinter jeder Kurve wartet das Meer - ein Anblick, den ich als sehr viel angenehmer empfinde, als die unendliche Waldlandschaft, durch die mich der Bus chauffierte.

Die Gefahr unterschätzt 

Meine Reise fühlt sich plötzlich sehr richtig an. Das Gefühl der Zufriedenheit gibt mir bei jeder neuen Steigung wieder Anschub und lässt mich meine Beine vergessen, die nach 30 Kilometern bereits schmerzten und jetzt nach 40 Kilometern scheinbar schon im Muskelkater-Modus sind. Mein Eierkuchenfriede mit der Welt endet aber abrupt, als ich in ein dunkles Loch in dem Berg vor mir blicke: Ein Tunnel. Eigentlich nichts Neues, schließlich hatte ich schon früher an diesem Tag mehrere Tunnel problemlos durchfahren. Doch dieser ist anders. Schilder deuten an, dass dieses Exemplar 2,7 km lang sei und das Fußgänger und - weitaus ärgerlicher - auch Fahrräder darin nichts zu suchen hätten. Regeln sind wichtig, Regeln sind gut. Und diese hier hätte ich auch liebend gerne eingehalten. Allein die Alternative fehlte mir. Hatte ich vor einigen Kilometern eine Abzweigung übersehen? Nein, so weit ich mich erinnern kann, gab es eigentlich nur den einen Weg, auf dem ich hergekommen bin. Meine Beine senden mir unzweideutige Signale: An eine Rückfahrt, um einen Umweg zu suchen, der vielleicht gar nicht existiert, ist nicht zu denken. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Verkehr hier kurz vor Molde beachtlich zugenommen hat. "Außerdem ist es ja auch nur ein weiterer Tunnel. Kennste einen, kennste alle!", denke ich. Also setze ich die Sonnenbrille ab, schalte die Fahrradbeleuchtung an und fahre hinein.

Zuerst geht es steil bergab. Das finde ich soweit in Ordnung. Nach über einem Kilometer rasender Abfahrt reift in mir allerdings die Erkenntnis, dass der zweite Teil vermutlich ebenso steil nach oben gehen würde. Wenig später wird diese Ahnung zur Gewissheit. "Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel" geht mir durch den Kopf, wohlweislich, dass dieser physikalische Satz mit der Art und Weise dieser Tunnelführung sicherlich nichts zu tun haben dürfte. Es hat keinen Sinn, sich zu wehren. Ich springe aus dem Sattel und fange an, meinen 30 kg schweren Untersatz zu schieben, das Tageslicht am Ende der Röhre jetzt fest im Blick. Die Autofahrer, die das Hindernis am Straßenrand umfahren müssen, tun dies nicht, ohne ausdrücklich kundzutun, dass sie meine eigenwillige Aktion missbilligen. Die Autos und LKW's rasen, obwohl eigentlich genug Platz vorhanden ist, dicht an mir vorbei und drücken dabei wie wild auf die Hupe. Ein Wagen tritt auf die Bremse, kuppelt aus und lässt den Motor direkt vor mir aufheulen. Ich will nur noch raus und gehe in den Laufschritt über. Abgase steigen mir in die Nase und der Schweiß, der mir zunächst nur kalt den Rücken runter läuft, perlt mir jetzt in die Augen. Die Hälfte des Anstiegs habe ich bereits geschafft, da fangen meine zuvor schon müden Waden an zu zwicken. Dann ist es endlich geschafft. Raus aus dem Tunnel und ab auf den nächsten begehbaren Randstreifen. Ich bin sauer: auf die norwegische Straßenführung, auf die wenig rücksichtsvollen Autofahrer und auf meine eigene Dummheit. Ich lege mich hin, versuche die Krämpfe in meinen Waden loszuwerden und genieße den frischen Sauerstoff. Ein Straßenschild spendet mir Schatten. Darauf steht: "Willkommen in Molde". Ich beende einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche und seufze:
"Danke!"